Die seltsamen Pfade der Inspiration

Kreativität lebt von Inspiration. Nicht selten kommt diese aber erst spät im kreativen Prozess und lenkt ihn in eine neue, unerwartete Richtung.

Es liegt auf der Hand, anzunehmen, dass Landschaftsfotografen ihre Inspiration aus den Farben, Formen und Symmetrien der abgebildeten Landschaften beziehen. Und vielfach ist das auch der Fall. Manchmal jedoch kommt die wahre Inspiration zur Fotografie erst etwas später im Werdegang der Arbeit dazu. Immer wieder kommt es vor, dass ich nach längerer Arbeit an einem Bild bemerke, wie sehr es einem mehr oder minder bekannten Vorbild aus der Kunstgeschichte ähnelt. Ich glaube nicht an Zufälle. Vielmehr denke ich, dass das Unterbewusstsein schon sehr früh im Entstehen einer Fotografie mitarbeitet. Jedoch erst, wenn bestimmte Aspekte ins Bewusstsein rücken, kann die Arbeit ihre ursprünglich gemeinte Gestalt annehmen.

Das Ziel der Fotografie ist niemals die reine Imitation der Realität sondern vor allem deren Interpretation. Auch und gerade wenn dabei aus zahlreichen früheren Erfahrungen geschöpft werden kann.

Das Ziel der Fotografie ist niemals die reine Imitation der Realität sondern vor allem deren Interpretation

Eine dankbare und nie versiegende Quelle der Inspiration ist die Auseinandersetzung mit dem Werk anderer Künstler.

Mit schöner Regelmäßigkeit ertappe ich mich dabei, wie deren Einflüsse langsam und fast unbemerkt in meine eigenen Arbeiten kriechen um in letzter Konsequenz Ähnlichkeiten zu erzeugen, die anfangs gar nicht geplant oder sichtbar waren. Nicht immer sind diese Ähnlichkeiten für den Betrachter auch offensichtlich.

Beispielhaft möchte ich hier drei meiner Arbeiten Ihren Halbgeschwistern zur Seite stellen um die zugrunde liegende Inspiration zu illustrieren.

Löwenzahn und Kresse, Ebreichsdorf

Diese Fotografie entstand ursprünglich als Test eines neuen Objektives (55mm f/1.8 Zeiss) im Sommer 2014.

In einem ausrangierten Blumentopf hat sich Gartenkresse breitgemacht. Ergänzt durch eine Löwenzahnpflanze entstand ein dekoratives Motiv vor dem neutralen Hintergrund der Hausmauer.

Erst Wochen nach der Fertigstellung der Fotografie fiel mir eine eigenartige Vertrautheit des Motives auf. Eine kurze Recherche bestätigte meinen Verdacht, dass ich unbewusst eine Anleihe bei einem der bekanntesten deutschen Künstler der Renaissance, Albrecht Dürer, genommen hatte.

Sein filigranes Aquarell „Das große Rasenstück“ lässt sowohl im Aufbau, als auch im Motiv die erstaunliche Ähnlichkeit erkennen. Das ist umso überraschender, als ich selbst beim Fotografieren noch nichts davon geahnt habe.

Albrecht Dürer: Das große Rasenstück

Wie einige seiner anderen bekannten Werke befindet sich auch Dürers Rasenstück aus dem Jahr 1503 in der Sammlung der Wiener Albertina.

Dort habe ich das Aquarell vermutlich bei der großartigen Dürer Retrospektive im Jahr 2003 im Original gesehen.

Obwohl ich keine Erinnerung an dieses Blatt in der Ausstellung habe, muss es wohl einen deutlichen Eindruck bei mir hinterlassen haben, um über ein Jahrzehnt später in meiner Interpretation wieder aufzuleben.

Nicht immer ist die Inspiration so sehr verzögert wie eben beschrieben. Manchmal fallen mir die Ähnlichkeiten bereits beim Blick durch die Kamera auf, sodass bereits von Anfang an das Grundkonzept vorgegeben ist.

Hommage an Jackson Pollock, Pottendorf

Der Schlosspark Pottendorf ist ein wunderbares Kleinod nicht weit von meinem Wohnort. Es darf nicht verwundern, dass ich regelmäßig dort mit meiner Kamera anzutreffen bin. Nicht nur das alte, halb verfallene Schloss, sondern vielmehr auch der wunderbare Park bietet zu allen Jahreszeiten lohnende Motive.

So auch das abstrakte Labyrinth der Äste mehrerer Bäume in unmittelbarer Nähe zum Schloss. Besonders die schönen Kontraste zwischen den hellen und dunklen Ästen mit dem zarten Blau des durchscheinenden Himmels beleben die Komposition.

Schon beim Blick durch den Sucher der Kamera erinnerte mich das Gewirr der Äste an die abstrakten und unheimlich dynamischen Bilder des Amerikaners Jackson Pollock.

Um der Abstraktion einen gewissen Kontext zu geben, habe ich einige der Baumstämme mit abgebildet, und trotzdem bleibt der Eindruck der spontanen Maltechnik von Pollock mit den Farbschüttungen und Spritzern erhalten.

Jackson Pollock: Number 14

Sein Bild „Number 14“ aus dem Jahr 1951 entstammt seiner Phase der Schütt- und Tropfbilder mit denen der damals knapp vierzigjährige Pollock weltberühmt wurde. Der Malstil wird auch als „Action Painting“ bezeichnet, weil die Erschaffung dieser Bilder durch die sehr körperliche, spontane und dynamische Maltechnik an sich schon fast einer Kunstaktion gleicht.

Jackson Pollock kam nur fünf Jahre nach „Number 14“ bei einem Verkehrsunfall ums Leben – gerade einmal 45 Jahre alt.

Während meiner letzten Reise auf die Schottische Isle of Skye besuchte ich die wunderbare kleine Bucht von Camus Croise im äußersten Süden der Insel. Das typisch wolkenverhangene Wetter auf der Insel bot die perfekte Gelegenheit für einige Nahaufnahmen der felsigen Bucht bei Ebbe mit den Massen an Seetang und kleinen Muscheln.

Hommage an Van Gogh, Isle of Skye

Ich liebe es, bei Ebbe in den Felsen der kleinen wunderbaren Buchten der Isle of Skye nach Motiven zu stöbern. Es ist, als könnte man selbst eintauchen in die fremde Welt unter Wasser.

Nachdem ich über eine Stunde damit verbrachte, Studien von verschiedenen Arten von Blasentang und rundlichen Kieseln anzufertigen, fiel mein Blick auf einen länglichen Felsen, überzogen mit winzigen Seepocken und bedeckt mit wunderbar kontrastfarbenem Seetang.

Mein erster Versuch einer Komposition war ein deutlich weiterer Bildausschnitt, doch das Bild wurde der entzückenden Szene nicht gerecht. Viel zu chaotisch waren die unzähligen Strukturen verteilt. Es fehlte ein eindeutiges Zentrum. Also kam ich mit der Kamera – bestückt mit dem 90mm Makroobjektiv – viel näher und rückte damit den geschwungenen Seetang in den eindeutigen Mittelpunkt, umrahmt von weiteren Pflanzenteilen in warmen Farbtönen und akzentuiert von den hellen Seepocken auf dem bläulichen Felsen, wie funkelnde Sterne am Firmament.

Schon am kleinen Bildschirm der Kamera fiel mir die Ähnlichkeit zu einem der berühmtesten Werke des Post-Impressionismus auf: Vincent Van Goghs berühmter „Sternennacht“

Vincent Van Gogh: Die Sternennacht

Im Jahr 1889 hatte sich der seelische Zustand Vincent Van Goghs so weit verschlechtert, dass er sich zur Behandlung in die Nervenheilanstalt von St. Remy begab, nachdem er sich in einem Anfall aus Verzweiflung und Raserei Teile seines linken Ohres abgeschnitten hatte.

Die Malerei wurde zum wichtigsten Pfeiler seiner Therapie, und die Zeit in der Anstalt war geprägt von manisch getriebener Produktivität. So entstand dort neben mehreren seiner anderen Meisterwerke auch die berühmte Sternennacht, die sich heute im Besitz des Museum of Modern Art in New York befindet.

Leider waren seine Therapieversuche nicht von Erfolg gekrönt. Vincent Van Gogh nahm sich im Sommer 1890 das Leben und wurde erst posthum zum ersten Superstar der Modernen Kunst.