Die Angst vor der Dunkelheit

Licht ist die Essenz der Fotografie. Seit den frühesten Tagen dieser Kunst einte die Fotografen die Angst vor der Dunkelheit - mit guten Gründen. Doch sind diese Gründe noch zutreffend?

Auf der Suche nach der Perfektion in ihrer Kunst haben Fotografen verschiedenste Strategien entwickelt, wie sie mit Licht und vor allem der Abwesenheit von Licht umgehen.

Licht ist nicht einfach nur Licht, die Qualität des Lichtes kann eine Fotografie erstrahlen lassen oder aber zerstören.

Stellen Sie sich eine großartige Aussicht vor mit schroffen Bergen in der Ferne und beispielsweise einigen Felsblöcken im Vordergrund um der Szene mehr Tiefe zu verleihen.

Fotografiert man dort im warmen Abendlicht, erzeugt es ein sanftes, wohltuendes Gefühl, vielleicht sogar Geborgenheit.

In der blauen Stunde aufgenommen, wird das fahle kalte Licht eine Stimmung des Verlangens oder gar der Angst vermitteln.

Das harte kontrastreiche Licht der Mittagszeit lässt die gleiche Szene im Chaos übermäßiger Texturen , tiefer Schatten und dem alles überstrahlenden Himmel versinken.

Zu Zeiten der analogen Filmfotografie waren diese Lichtbedingungen kaum zu zähmen. Starke Grauverlaufsfilter und kontrastarme Filme die auch einmal leichte Belichtungsfehler verzeihen gehörten damals zur Standardausrüstung.

Damit hält die Auswahl der richtigen Werkzeuge plötzlich Einzug in die Fotografie.

Verstehen Sie mich nicht falsch – ein schlechtes Werkzeug in den Händen eines Meisters ist weit besser, als das perfekte Werkzeug in den Händen eines Narren, aber in manchen Situationen hängt der Erfolg ganz und gar vom richtigen Werkzeug ab!

Ein schlechtes Werkzeug in den Händen eines Meisters ist weit besser, als das perfekte Werkzeug in den Händen eines Narren

Seit den Anfängen der digitalen Fotografie sind die technischen Einschränkungen immer geringer geworden. Moderne Kamerasensoren erfassen immer mehr Details in immer weniger Licht und wir können diese Fähigkeit zu unserem Vorteil nützen. Die Rohdatei einer modernen Digitalkamera enthält eine Menge Informationen die mit einem Blick auf den Bildschirm der Kamera nicht zu erkennen sind. Diese Informationen können mit der richtigen Software sichtbar gemacht werden.

Plötzlich erwachen vormals tiefe Schatten zum Leben, überflutet von  Farben und Texturen. Was zuvor in einer trüben Masse verborgen blieb wird in eine leuchtende Szenerie verwandelt, voller wunderbarer Details die entdeckt werden wollen.

Wir leben nunmehr in einem Zeitalter, in dem das Erfassen des richtigen Augenblickes die größere Herausforderung darstellt als alle technischen Limitationen. Endlich dreht sich die Fotografie wieder um Visionen und Kompositionen.

Lassen Sie mich dies anhand einiger Beispiele verdeutlichen, bei denen die Rohdatei nur entfernte Ähnlichkeit mit dem fertigen Bild hat – mit Ausnahme der Vision, die am Anfang jeder Fotografie steht. 

Diese Bilder wurden ermöglicht durch das Wunder moderner Kamerasensoren, die nicht nur die Schatten öffnen, sondern auch eine Vielzahl an Möglichkeiten zur Interpretation einer Szene, nachdem wir den Auslöser gedrückt haben.

Schwarzes Loch, Stokksnes, Island

Über sieben Stunden durch die karge Landschaft zwischen der isländischen Südküste und dem gewaltigen Vatnajökull Gletscher zu fahren war wirklich kein besonderes Vergnügen. Insbesondere, als ich dann an der Halbinsel von Stokksnes ankam und feststellen musste, dass die Gipfel des Vesturhorn hinter einem dichten Wolkenschleier verborgen waren und damit jeglicher Versuch zu fotografieren sinnlos wurde. Also änderte ich kurzentschlossen meine Pläne und machte mich auf den Weg ins isländische Hochland. 

48 Stunden später, nur einen Tag vor meiner Heimreise wagte ich einen neuen Versuch. Der frühe Abend war vielversprechend. Der scharfe Wind trieb ein paar Wolkenfetzen umher und kündigte ein Geduldsspiel an. Ich hoffte, diesmal am Ende belohnt zu werden.

Der großartige Strand wimmelte vor Besuchern und um zehn Uhr war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich tatsächlich eine zweite Chance bekommen sollte.

Gut 30 Minuten später wurde meine Geduld doch noch belohnt. Etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang waren die meisten Menschen verschwunden und die auslaufende Flut hatte die zahllosen Fußabdrücke am Strand weggespült. Ich konnte beginnen, nach einem geeigneten Vordergrund zu suchen um damit die Bergkette in die richtige Perspektive zu setzen.

Nach einer Weile fand ich ein ringförmiges Muster im schwarzen Sand, das den perfekten Kontrapunkt zu den schroffen Bergen im Hintergrund bildete.

Kurze Zeit später verschwand die Sonne hinter den Bergen und ließ die Wolken in leuchtend warmen Farben erstrahlen. Die wiederum spiegelten sich in den kleinen Wasserpfützen im Sand und zauberten so farbige Tupfen in den Vordergrund.

Es fand also alles zusammen und ich belichtete den Himmel so hell ich mich irgendwie traute, immer mit einem Auge am Histogramm der Kamera und hoffend, dass ich ausreichende Details im schwarzen Sand und den Bergen im Schatten behalten würde.

Letztlich waren zwei Mal sieben Stunden im Auto also doch ein angemessener Preis für eine zweite Chance!

In den meisten Fällen ist es am wichtigsten, die Belichtung an die hellen Bildanteile anzupassen. Wenn die Lichter jegliche Differenzierung und Abstufung verlieren gibt es nichts mehr was man tun kann, um die Aufnahme zu retten.

Es gilt also, klug und gezielt zu bestimmen, wie hell die Lichter letztendlich erscheinen sollen. Diese Entscheidung kann über Triumph oder Untergang bestimmen.

Die Schattenpartien sind weit weniger kritisch. Selbst eine Unterbelichtung um bis zu drei Blendenstufen ist kein großes Problem. Die Details in diesen Bildanteilen können in der Bearbeitung zurück geholt werden.

Auch wenn man sich dann  bisweilen um verstärktes Bildrauschen kümmern muß, ist es immer noch besser, als die Lichter zu verlieren.

Nah am Wasser, Loch Maree, Schottland

Im Jahr 2018 hatte ich zum ersten Mal Gelegenheit, die schottischen Highlands zu besuchen. Ein Juwel dieser Landschaft ist der fast 20 Kilometer lange Loch Maree and der Westküste.

An seinem Westufer führt eine Strasse entlang nach Nordwesten bis der See bei Poolewe in den rauen Atlantik mündet.

Diese Strasse ist ein Segen für Fotografen, denn sie macht den See aus verschiedensten Perspektiven einfach und unkompliziert erreichbar.

Nicht weit vom südöstlichen Ende des Loch Maree liegt ein kleiner Parkplatz, von dem man zu Fuß in einer Minute an das nahe Ufer gelangt.

Bei meinem ersten Besuch war ich von den vielen Eindrücken und Motiven fast ein wenig überwältigt und ich kämpfte mehrere Stunden lang, um etwas Ordnung in das visuelle Chaos zu bringen.

Ein Motiv erschien mir dabei besonders vielversprechend, aber ich hatte noch nicht die richtige Perspektive gefunden.

Etwas enttäuscht gab ich schließlich auf. Doch die Landschaft ließ mir keine Ruhe, und als ich wenige Tage später noch einmal an den Loch Maree zurückkehrte versuchte ich alle bisherigen Versuche auszublenden und mich der Landschaft noch einmal anzunähern. Diesmal hatte ich allerdings den Vorteil zu wissen. welche Perspektiven nicht funktionierten. Außerdem war durch intensive Regenfälle inzwischen der Wasserpegel um mindestens einen halben Meter gestiegen, was neue Möglichkeiten eröffnete.

Diesmal fiel mein Blick auf den mächtigen Baum, ganz nah am Ufer, flankiert von zwei Bäumchen, die durch das Hochwasser halb überflutet waren. Plötzlich war alles ganz klar. Die Szene erzählte eine Geschichte. Es war die Geschichte vom Wechsel der Jahreszeiten mit dem unberechenbaren und unbarmherzigen Wetter im Norden Schottlands.

Sorgfältig positionierte ich die Kamera auf wenige Zentimeter genau, sodaß es zu keinen Überschneidungen der drei Protagonisten kam und sich das Ensemble zu einem harmonischen Bild mit dem nebeligen Hintergrund zusammenfügte.

Ich wollte unbedingt die zarten Farben und Strukturen im Wasser und auch im Himmel sichtbar machen, also musste ich die Belichtung recht dunkel einstellen, um keine Details in den hellen Bildanteilen zu verlieren. Im Rohbild verlieren sich dabei die Schatten im tiefen Schwarz. Doch es ist in der Nachbearbeitung ein Leichtes, die Schattendetails wieder herzustellen und damit den Dynamikumfang zu zähmen.